„hermetisch wild“ Ausstellung
Gesellschaft für Kunst Hohenlohe, Künstlerbund e.V. Herma Walter / Wildis
Streng Stadtmuseum
im Spital Crailsheim Eröffnung 15.9.2010 I.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Herma Walter, liebe Wildis Streng! Herzlichen Dank, dass ich in diesem
besonderen Rahmen für die Gesellschaft für Kunst Hohenlohe eine Ausstellung mit
eröffnen darf! Es ist noch nicht so lange her, dass
ich zum Werk von Wildis Streng
gesprochen habe – als sie mit ihrer Mutter zusammen in Gaildorf ausstellte. Mit
den Arbeiten von Herma Walter habe
ich mich aus Anlass des heutigen Abends das erste Mal beschäftigt. Eine Einführung, die beide
Künstlerinnen und ihr Werk berücksichtigen soll, müsste entweder ganz allgemein
gehalten sein oder auf Biegen und Brechen einen gemeinsamen Nenner finden
wollen oder – so werde ich es versuchen – jeder von beiden einen Abschnitt
widmen. Die Ausführungen zu Herma Walter
stelle ich an den Anfang – so können Sie, liebe Besucherinnen und Besucher mit
zumindest einigen Werken vor Augen sich ein bisschen einhören, so dass Sie mir
dann, wenn ich über die hier nicht sichtbaren Ausstellungsbereiche spreche,
besser folgen können. II.
Herma
Walter Herma Walter ist eine sehr reflektierte, über
sich und ihre Kunst nachdenkende Künstlerin. Hier
in der Kapelle sind wir umgeben von einer Werkgruppe aus acht Holztafeln, die –
so scheint es – hier ihren idealen
Ausstellungsort gefunden haben. Entstanden sind die Collagen schon vor einigen
Jahren – nicht dass Sie glauben, die Künstlerin hätte auf die gotische
Wandgestaltung dieses sakralen Raumes
reagiert. Dieser Schluss liegt nahe, wenn wir die Farben vergleichen, das
mehrfach auftretende Kreuzzeichen bzw. die vertikal-horizontale Akzentuierung
bemerken. Dazu lassen auch die Titel
menschlich-existenzielle bis spirituelle
Themen vermuten. Jedoch, wie gesagt, die Gruppe entstand nicht im Hinblick auf einen solchen Ausstellungsraum. Die
Künstlerin hat sich vielmehr auf Material, das ihr zufällig zur Verfügung stand
eingelassen: auf eine weiße Grundierung der Platten legte sie verschiedene
Papiere, gestaltete Flächen und Faltungen, spielte mit grafischen Elementen und
malerischen Partien; manchmal ist die Herkunft des Materials noch erkennbar:
Zwei
andere Werkgruppen von Herma Walter sind im Obergeschoss des Museums zu finden:
Es handelt sich um Drucke und um Malerei. Zunächst
zu den Gemälden: sie vermitteln
wieder – ähnlich den Collagen hier – einen Anteil intuitives Arbeiten gepaart
mit einer tastenden, suchenden Linienführung, die einen Dialog vermuten
lässt. Einen solchen Dialog stelle ich mir so vor: äußere
Eindrücke, Erlebnisse, Stimmungen stellen den Anlass für das Malen dar, ein
Anfang wird gemacht, dann fächert sich im Nachspüren – ich greife den Begriff
vom Anfang nochmals auf - es fächert
sich also ein ganzes Vokabular von Gestaltungsmitteln auf: starke Farb- und
Hell-Dunkel-Kontraste finden ihren Ausgleich in feinen Abstufungen von
Farbflächen, die wiederum den Grund für
frei agierende Formen, darstellen. Die im wahrsten Sinne des Wortes
vielschichtige Gestaltung der Bildoberfläche
erschließt tiefere Räume – wie Höhlen und Spalten, um einmal subjektive Assoziationen konkret zu benennen. So
bietet sich dem Auge des Betrachters ein spannendes Spektrum dar. Es
umfasst dynamische Bildmittel und
harmonischen Ausgleich, es verbindet
gegenstandsfreie Formationen mit figürlichen Versatzstücken. Nach
meiner Einschätzung wird hier eine Art Konzept für das gesamte Schaffen der
Künstlerin deutlich: sie bringt verschiedene Ebenen der Wirklichkeit (gesehene,
empfundene, geschaffene) über ihre Art der Gestaltung zu einer Einheit. Kann
man diese These auch mit der dritten
Werkgruppe, den Drucken, belegen? – Rhetorische Frage – deshalb Antwort:
ja! Es
findet sich nämlich darin eine interessante Kombination von Wirklichkeit – im
Sinne von Realien, nämlich Materialien und künstlerischer Konzeption und
Komposition auf der Bildfläche: mit Holz und Glas fertigte Herma Walter Mitte
der 90er Jahre eine Serie sehr konzentrierter Drucke an. Reduziert auf wenige
Formen und Farben sind sie dafür umso intensiver in ihrer Wirkung. Harte Linien
fassen gleichmäßig gefärbte Flächen ein
– vermitteln das Glatte, scharfkantige von Glas. Daneben wird der Abdruck von
Holz sichtbar: die Holzmaserung liefert eine feine Binnengliederung der Fläche.
Die wenigen Formen und Strukturen werden in der Bildserie variiert: mal
stehen sie puristisch nebeneinander, mal überlagern sie sich und entfalten so
einen Dialog untereinander und mit dem Bildraum. Ein solcher Dialog muss nicht
Bildinhalte vergegenständlichen, sondern er erzählt von oben und unten, von
Bewegtheit und Ruhe, von Freiraum und belebtem Raum. Wobei die unbedruckte
Fläche des Papiers ist keine Leerfläche ist, sondern integrativer Bestandteil
des Ensembles. Obwohl
die Druckträger Holz und Glas ja schon vieles mitbringen – Urheberin des
ästhetischen Erlebnisses ist natürlich die
Künstlerin: ihre Setzungen sind dafür entscheidend. Diese
Setzungen vollzieht Herma Walter nicht willkürlich, schon gar nicht wild, aber auch nicht brav, sondern in der genau richtigen Balance. III.
Wildis
Streng Eine ganz andere Bildwelt, meine Damen und Herren, begegnet uns im Werk
von Wildis Streng. Bei ihren Acrylbildern auf Leinwand sind auf
den ersten Blick formal-technische Aspekte weniger interessant als ihre Motive.
Bilder von Frauen, auch Akte, nach eigener Auskunft sind es
v.a. Selbstbildnisse, verknüpft sie mit Alltagssituationen, mit exotischen
Welten, mit heimischer Fauna und Flora, viele auch mit Mythen und Märchen. Eine Werkgruppe, Sie finden sie im 1.OG des Museums, zeigt „Die Esserinnen“. Plakativ der Stil: kräftige Farben werden
flächig aufgetragen, Konturen fassen die Motive ein. Überwiegend wird nicht ein
„normales“ Essen im Sinne von Nahrungsaufnahme
geschildert, sondern es geht um Momente vor dem Essen, beispielsweise um die Auswahl aus der Karte, um die
Qual der Wahl aus einem Sortiment Pralinen und um einen trotzigen Widerwillen
angesichts eines nicht so appetitlichen Fischgerichtes auf dem Teller…einem
Drachenkopf. Die Normalität des Essens,
Sinnlichkeit und Genuss spielen in diesen Bildern eine sekundäre Rolle. Obwohl
zunächst leicht lesbar, bekommen die Gemälde so als Sinnbilder, als Metaphern
eine symbolische Dimension. Mit einer solchen Sichtweise sollten wir auch an die anderen
Themen von Wildis Streng herangehen, etwa die Dschungelbilder. Wieder sind
es Frauen, die im exotischen Ambiente eine Rolle spielen: das mit „Rolle
spielen“ meine ich wortwörtlich, denn es sind nicht wirklich Amazonen und
Speerträgerinnen, die hier weibliche Stärke demonstrieren. Auch die Akte,
eingebettet in tropische Landschaften und von üppiger Vegetation umrankt, geben
sich zwar den Anschein von Naturverbundenheit – auch in trauter Zweisamkeit mit
einer Raubkatze oder einem Hasen -. Letztlich ist es aber eine Traumwelt, in der
mythische Orte und ferne Zeiten beschworen werden. Sie bietet die Kulisse für starke, selbstbewusste Frauen, die
in sich ruhen, die trotz oder gerade durch die markante Umgebung sehr präsent
erscheinen. Ein traditionelles Sehnsuchtsmotiv, gerade in der deutschen
Kulturgeschichte, ist nicht der tropische, sondern der heimische Wald. Für Wildis Streng stellt dieses
Thema ein großes Reservoir an Motiven bereit. Sie erklärt, dass dies
tatsächlich auch mit Erinnerungen und Phantasien aus der Kindheit zu tun hat.
Aber wenn Sie nachher die Bilder vor
Augen haben, werden Sie mir zustimmen: mit einer solchen Erklärung kann man
sich natürlich nicht zufrieden geben. Deshalb ein zweiter Blick, zum Beispiel auf die Pilz-Bilder – sie hängen im EG des
Museums im vorderen Ausstellungsraum. Von der Einladungskarte her kennen Sie
schon die vor einem dunklen Baumstamm sitzende Frau, umgeben von Fliegenpilzen
und bekleidet nur mit einem Fliegenpilzhut. Das Bild könnte ein Märchen
illustrieren – oft geht es ja im Märchen um junge Frauen, schutzlose zumal, was
hier mit dem dunklen Wald und ihrer Nacktheit noch unterstrichen wird. Die
Giftpilze und der Untertitel des Bildes „Selbstporträt im Hexenkreis“ bergen
zunächst etwas Unheimlichen. Mit dem Pilzhut wird aber die Frau zum Bestandteil
der Versammlung und sie scheint keineswegs eingeschüchtert. Ganz im Gegenteil:
von ihr selber geht eine Art Bann aus; ich als Betrachter empfinde nämlich eine
gewisse Faszination angesichts der Ambivalenz von Motiv und formalen Mitteln
einerseits und der Bildaussage andererseits. Was meine ich damit? Neben der Waldszene können wir weitere pilzbehütete Frauen und
eine Vierer-Serie mit Pilzporträts orten. Auch und gerade indem hier keine narrative Einbettung besteht, kommen
die Bilder schon ein bisschen naiv daher.
Aus kunsthistorischer Sicht aber kann
man in solchen Motiven auch Allegorien sehen.
Zum Beispiel funktionieren die vier
Pilze als Jahreszeiten-Serie, bei den
Frauen assoziiert man Themen wie Weiblichkeit als Naturmetapher, Metamorphose
oder – eher prosaisch: die Hüte als modisches Accessoire. Amüsant für den Betrachter ist die feine Ironie, das witzige
Spiel mit Traditionen und Lesarten von
Kunst, mit denen die Künstlerin ihre Bilder hinterlegt. Dies ist auch in anderen Bildern
der Waldgruppe feststellbar. Nehmen wir etwa die „Eulen-Porträts auf Rinde“ – Witz schon im Titel! Denn tatsächlich
spricht uns das Material, das als Bildträger fungiert, unmittelbar an: es ist
von haptischer Qualität, hat eine braune, rinden- oder holzartige Optik und ist im Bastelbedarf als „Papyrus antik
gebeizt“ zu bekommen. Mit dem Imitat zitiert die Künstlerin die natürliche
Umgebung der Vögel, die wiederum als Tierporträts virtuos ausgeführt wurden.
Auf beiden Ebenen, indem ein fabriziertes Material verwendet wird und indem
kunstfertig gemalt wird, spielt Wildis Streng auf den traditionellen Anspruch
an die Malerei an. Das Spiel mit den Ebenen der Realität setzt sich im hinteren Raum der Ausstellung fort. Für
mich dort „wo sich Fuchs und Has `gute Nacht`
sagen“, denn dort hängt eine Serie von Waldtieren, wieder als eine Art Porträtgalerie. Wieder
kommen Fuchs und Hase, Wildschwein und Wolf … auf den ersten Blick harmlos
daher. Bei manchen wird der Kopf aber wie von einem runden Lichtkegel umfangen
oder erscheint im Fadenkreuz – zum Abschuss bereit. Und vorbei ist es mit Waldromantik und Idylle. In ihrem Werk verknüpft die
Künstlerin Rollenzuweisungen, Beobachtungen der menschlichen Natur und
vermeintliche Naturidylle miteinander und formuliert teils witzig-ironisch,
teils ernsthafte Aussagen – noch einmal möchte ich den Begriff der modernen
Allegorie benutzen! Eine relativ neue Arbeit, die ich nun abschließend noch
ansprechen möchte, vereint einige der schon erwähnten Aspekte und kann
vielleicht meinen Ansatz weiter stützen.
Wildis Streng gestaltete dafür eine Landschaft, die sich über
drei unterschiedliche Formate – nebeneinander gehängt – erstreckt. Ein mit
Blättern bedruckter Patch-Work-Stoff stellt den Hintergrund dar: wieder ein
industriell gefertigtes Material, das abstrahierend ein Kürzel für den Wald
darstellt. Darauf malte sie einen sanft geschwungenen, dann schroff
abfallenden Mittelgrund, auf dem wie auf einer Bühne Frauenakte und Waldtiere
platziert sind. Dabei kombiniert die
Künstlerin Tuschezeichnung, Malerei und aufgeklebte Glanzbildchen
miteinander. Wieder lassen sich Schlüsse ziehen
über verschiedene Realitätsebenen und
inhaltliche Verknüpfungen, eben dort wo auch formale Parallelen zu sehen
sind. Obwohl die Künstlerin die einzelnen Bildabschnitte als
eigenständige Werke aufführt, sind sie wie eine zusammenhängende Bühnenszenerie
zu lesen. Als Schlusspunkt
dieser surrealen Inszenierung erscheint wiederum eine nackte Frauengestalt,
diesmal komplett vom Blatt-Stoff
hinterfangen. Aufgestickte
Goldfäden bilden einen Strahlenkranz – und so lautet auch der Titel dieses
Teil-Bildes: „Akt im Strahlenkranz“. Ist es eine Goldmarie, erlöst und belohnt
wie im Märchen oder gar eine religiös zu deutende Madonna im Strahlenkranz? Das Happy-End-Schema greift jedenfalls nicht, denn zuvor war
ja gar kein Drama im Gange. Wieder gelingt es der Künstlerin, gängige
Schubladen zu vermeiden, indem sie Bildtraditionen und Lesarten gegen den
Strich bürstet. Wenn wir uns darauf einlassen, liebe Besucherinnen und
Besucher, auf dieses Spiel mit Konventionen und Sichtweisen einerseits und
interessanten formalen Ansätzen andererseits, könnte es gelingen, das, was bei Wildis Streng hermetisch erscheint, aufzuschlüsseln. IV.
Nun bin ich also doch der Versuchung erlegen, das Wortspiel
des Ausstellungstitels „hermetisch wild“
in meiner Einführung zu verwerten… Ich hoffe, dass meine jeweiligen Beobachtungen von formalen,
technischen und inhaltlichen Aspekten und die Schlüsse, die ich daraus gezogen
habe, nicht als wilde Spekulationen
aufgefasst werden – vielmehr, dass sie Ihnen helfen, beide Positionen als nicht
hermetischzu empfinden! Vielen Dank! Claudia Scheller-Schach M.A Kunsthistorikerin Buchenweg 22 74653 Künzelsau Tel. 0 79 40 – 5 85 13 scheller-schach@web.de
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